Rituale sind in unseren Zeiten des Umbruchs wichtiger denn je

Vera Griebert-Schröder ist eine moderne Schamanin. Die Münchnerin möchte Menschen durch Rituale zeigen, welche Energie und Kraft in ihnen wohnt und wie sie damit ihr Leben positiv beeinflussen können. Vera wird auf OW up! jeden Monat ein praktisches Alltagsritual vorstellen. Zum Auftakt gibt’s nun aber erstmal ein Interview mit ihr.

Liebe Vera, gibt es ein Ritual, das Du täglich machst?

Wenn ich in meine Praxis komme, entzünde ich an meinem kleinen Altar eine Kerze, damit beginnt mein Arbeitsalltag – und das Ritual. Auf diese Weise gestalte ich den „heiligen Raum“ (dazu in den kommenden Monaten mehr), in dem ich später arbeiten werde. Angebunden an etwas Größeres, wende ich mich in die vier Himmelsrichtungen mit ihren verschiedenen Qualitäten und an Vater Himmel und Mutter Erde. Das hilft mir, mich auf den Tag, meine Klient*innen und meine Arbeit einzustimmen.

Wie viele Alltagsrituale machst Du über den Tag?

Durch meine Arbeit bin ich natürlich näher an Ritualen als jemand, der am Computer arbeitet, aber für mich persönlich mache ich täglich das anfangs beschriebene, das ist sozusagen Standard in der schamanischen Welt. Außerdem mache ich immer eins, wenn ich das Gefühl habe, es braucht ein Ritual. Das kann dann das Verabschieden von etwas sein, das mich bewegt oder ich möchte mir durch eine klare Ausrichtung rituell eine Pause schaffen, die mich intensiv stärkt, aber auch wenn es eine Situation gibt, in der Menschen mich bitten sie zu unterstützen.

Wie bist Du auf Rituale gekommen? Gab es ein Schlüsselerlebnis für Dich?

„Alles ist mit allem verbunden“, so lautet die Weisheit aus allen schamanischen und indigenen Kulturen. Schon als Kind habe ich mit Tieren und Pflanzen gesprochen, war in einer anderen Welt, zu der niemand außer mir Zutritt hatte. Daraus hat sich für mich das Bewusstsein über die Zusammenhänge der Dinge entwickelt. Ich bin viel gereist und habe Schaman*innen in verschiedenen Kulturen besucht und mein Wissen vertieft. Das ermöglicht mir heute ein großes Verständnis über Ganzheit, auch über Rituale, deren Anwendungen und Auswirkungen und vor allem welche Kraft ihnen innewohnt.

Mir liegt es am Herzen das Wissen, um die Wirksamkeit von Energie und vor allem um das Bewusstsein der eigenen Gedanken und Handlungen weiterzugeben. Spiritualität und Rituale sind in unseren Zeiten des Umbruchs wichtiger denn je.

Brauchen wir tatsächlich Rituale?

Wir spüren – genau wie Schamanen aller Kulturen – dass die Welt und unser Leben einer bestimmten Ordnung folgt. Genau diese Ordnung scheint heute vielerorts durcheinandergeraten zu sein. Doch wir sind Mitschöpfer*innen. Wir können eingreifen, unser Leben aktiv und bewusst formen und ihm Ordnung, Tiefe und Lebendigkeit verleihen. Unsere Sehnsucht geht genau dorthin. Ich denke, dass allein das Wissen über eine Verbundenheit mit der geistigen Welt und die feinen, kleinen Rituale jeden Menschen immer wieder neu in Kontakt mit der Schöpferkraft bringen. Meine Überzeugung ist, und das habe ich bei Schamaninnen und Schamanen vieler Kulturen gelernt, dass genau das eine große Wirkung hat!

Was ist eigentlich ein Ritual?

Für ein Ritual richte ich mich innerlich aus, also ich überlege mir das Anliegen und die Durchführung, allein dadurch schärfe ich meine Gedanken und mein Bewusstsein. Man kann eventuell auch Gegenstände wie Kraftobjekte mit einbeziehen . Es ist eine machtvolle Handlung mit großer Symbolkraft, die stellvertretend das zeigt, was sich dann in der Alltagswirklichkeit vollziehen soll. Rituale übersetzen Unsichtbares in sichtbare Handlungen.

Wie funktioniert diese Übersetzung vom Unsichtbaren ins Sichtbare?

Bei einem Ritual erweitern wir den Geist und beziehen Ebenen mit ein, die größer sind als wir selbst. Ich spreche hier immer von „der geistigen Welt“, was so viel bedeutet, dass „alles, was ist, lebendig ist“, so das Weltbild der Schaman*innen.

Auf die Rituale übertragen heißt das: Führe ich ein Ritual mit wachem Bewusstsein aus, begebe ich mich geistig auf die Ebene, auf der sie wirksam werden, nämlich dahin, wo alles mit allem verbunden ist und die Schöpferkraft wirkt.

Eine ruhige innere Haltung und ein klares Bewusstsein ist Energie. Diese fließt dann in die beabsichtigte Richtung und gibt der Handlung eine große Kraft. Die Schamanen sagen: „Energie folgt der Aufmerksamkeit“.

Lange Zeit kannte ich Rituale nur aus der Kirche: Hochzeit, Taufe, Beerdigung. Wie soll die Energie und die Aufmerksamkeit da helfen?

Übergangsriten sind in indigenen Kulturen sehr wichtig. Bedeutende Situationen, die große Veränderungen markieren, kann man allein oder mit einer Gruppe feiern. Das Schöne ist ja, dass man Rituale unendlich variabel gestalten kann.

Und wenn es kein Übergang ist, dann gibt es viele alltägliche Rituale, die Menschen helfen können. Bei der Vorbereitung auf ein Gespräch mit einer Führungskraft, um Kraft zu tanken oder ein Spür-Ritual, was mir jetzt, genau in diesem Augenblick guttut. Die Energie folgt dann der Aufmerksamkeit und unterstützt die Intention.

Du sagst, dass man Rituale variabel gestalten kann. Warum kann es hilfreich sein, seine eigenen Rituale zu entwickeln?

Das eigene Ritual macht es zu etwas persönlichem und schenkt eine besondere Kraft. Es passt dann perfekt zur Situation, zu allen Teilnehmenden und in die Umgebung, in der es gefeiert wird. In der Vorbereitung liegt auch schon die Freude und die mit dem Ritual verbundene Energie baut sich verstärkt auf.

Wie unterstützen einen diese Rituale konkret im Alltag, im Familienleben, im Beruf?

Rituale machen uns wacher und lebendiger, sie helfen Altes zu verabschieden und Neues einzuladen. Beispielsweise bekommen Beziehungen ebenso wie Projekte durch rituell gesetzte Symbole einen sichtbaren Platz. Wandlungsphasen, wie Übergänge von einem Arbeitsplatz zu einem neuen können rituell in verschiedenen Phasen begleitet werden, sodass Veränderung langsam und behutsam vonstatten gehen kann.

Ich selbst liebe das „Schleusenritual“. Nach meinem Arbeitstag lasse ich beim Betreten des Aufzugs in meinem Wohnhaus den Alltag mit seiner Arbeit bewusst hinter mir. In der Schleuse, also im Aufzug, stelle ich mir vor, im Niemandsland zu sein, um dann, auf meinem Stockwerk als private Person auszusteigen. So beginnt mein Feierabend. Das geht übrigens auch, wenn man nur durch die Türschwellen tritt.

Das Interview führte Tina Molin vom Onlinemagazin OWup!